Meistens weiß man es sofort – man probiert einen Wein, die Aromen strömen direkt ins Gehirn und lösen vielversprechende Glücksgefühle aus; der erste Schluck flutet die Geschmacksnerven und wir können uns ein Lächeln nicht verkneifen. Die Sache ist klar, in unserem Glas ist ein guter Wein.
Ob das so sein wird, kann man vor dem Öffnen der Flasche nur schwer vorhersagen und unter den Flaschen, die man kauft, schleichen sich auch oft Gewächse ein, die den Stempel „gut“ nicht ansatzweise verdienen, auch wenn sie noch so teuer waren. Man muss also viel Wein kaufen, probieren, und vor allem trinken, um die Frage beantworten zu können: „Was ist eigentlich guter Wein?“
Genau das haben wir gemacht, wir haben mehr Geld in Wein gesteckt als der Durchschnittsdeutsche für Autos und Versicherungen ausgibt, wir haben unzählige Verkostungen besucht und wir haben mehr als einmal mehr getrunken als gesund war. Um ihren Geldbeutel und ihre Leber zu schonen, haben wir nun unsere Antworten in diesem Artikel zusammengetragen.
1. Das Drumherum
Wenn wir von dem oft so zelebrierten Moment des ersten Schlucks ein paar Schritte zurück gehen, merken wir, dass zum Erlebnis Wein, mehr gehört als nur Probieren und Trinken. Schon beim Inspizieren des Etiketts schweben Bilder in unserem Kopf, die uns vielleicht in den letzten Urlaub an der französischen Riviera, an den Fuß der majestätischen Anden oder eben an die steilen Schieferhänge des Moseltals entführen. Weingüter, Weinvermarkter, und Regionalverbände bauen diese Assoziationen mit ihrem Marketing gezielt auf und wenn der Versuch gelingt, sind wir geprimed – Unsere Geschmacksnerven sind darauf vorprogrammiert im Barbaresco das herbstliche, taubetuchte Waldlaub zu riechen und die Feuersteinaromatik des Loire Sav Blancs mit großen Stein auf dem Label springt uns entgegen.
Diese gezielte Effekthascherei der Weinindustrie wird von vielen oft als Ablenkung vom eigentlich Wichtigen empfunden – „Marketingfeuerwerk, um mehr Geld für die Pulle zu verlangen zu können.“ Manchmal stimmt das leider und so mancher Wein entpuppt sich als Schaf im Wolfspelz. Das „Drumherum“ gehört aber einfach dazu und die Weinwelt wäre definitiv ärmer, wenn sich nicht unzählige Geschichten um das Produkt ranken würden. Man sollte sich dessen nur bewusst sein und sich seinen Enthusiasmus für einen Wein aufsparen, bis man ihn letztendlich probiert hat. Das ist leichter gesagt als getan. Oft ist es eben die interessante Story und eine ausgefeilte Beschreibungs-Poesie, die uns anspricht; und ein damit verbundener stolzer Preis signalisiert uns unzweideutig die Wertigkeit; man ist wortwörtlich investiert.
2. Farbe – das Auge trinkt mit
Schälen wir die Zwiebel nun weiter, lassen das Drumherum mal gezielt außen vor, und beschränken uns auf das Eigentliche. Es gibt keine bessere Methode, um genau das zu tun als die Blindverkostung.
Das Aussehen des Weins im Glas, also die Farbe und die Viskosität fällt uns zunächst ins Auge. Nach was schauen wir also auf der Suche nach dem „guten Wein“?
Ein guter Wein ist frei von Trübstoffen und präsentiert sich mit klarer, leuchtender Farbe. Der erste optische Eindruck ist intensiv und lebendig. Die Farbe variiert je nach Rebsorte und Alter. Je heller, desto leichter, je dunkler, desto kräftiger – und älter.
3. Aroma – der Schlüssel zum guten Wein
Nachdem der Wein seine Hülle abgelegt hat, geht es so langsam zur Sache. Wir nähern uns vorsichtig dem Weinglas und lassen die Aromen des göttlichen Getränks in unsere Sinneswelt eindringen. Halten wir Ausschau nach einem „guten Wein“ so untersuchen wir zwei Aspekte: Aromen Vielfalt und Aroma Intensität.
Vielfalt beinhaltet die verschiedenen Aromakomponenten, die in einem Wein stecken. Zum Beispiel überlagern sich in einem Riesling häufig Aromen wie, Zitrusfrucht, Honigmelone, nasser Stein und Bienenwachs.
Die andere Achse beschreibt die Intensität der einzelnen Aromen. Es könnte bei unserem erdachten Riesling zum Beispiel die Frucht also die Zitrone und die Honigmelone überwiegen, während die anderen Komponenten, nasser Stein und Bienenwachs, eher im Hintergrund schweben.
Das Aroma verändert sich stetig nach dem Öffnen der Flasche und es kann gut sein, dass sich einige Komponenten anfangs in den Vordergrund drängen und die Show dominieren bis ihre schüchternen Geschwister aus dem Hintergrund dazustoßen. Es geht hierbei für uns nicht um MEHR und NOCH INTENSIEVER, sondern um Harmonie, Feinheit und Vielschichtigkeit. Das macht unserer Meinung nach einen „guten Wein“ aus.
4. Geschmack – so schmeckt der gute Wein
Ganz zentral ist für uns die Frage; lädt der Wein auf den nächsten Schluck ein? Wenn nicht, dann ermüdet er unsere Geschmacksnerven und langweilt uns spätestens nach einem halben Glas. Wie erklären wir also diesen Trinkfluss, den wir suchen?
Das Geheimnis liegt in der Balance der Geschmacksemfindungen. Um das genauer zu untersuchen zu können, müssen wir einen kleinen Grundkurs im Schmecken absolvieren. Auf der Zunge können wir fünf Geschmäcker in unterschiedlichen Intensitäten wahrnehmen; nämlich süß, salzig, bitter, sauer, und umami. Außerdem hat die Zunge als Tastorgan auch die Fähigkeit, die Textur des Weins zu ertasten. Komplexere Geschmäcker nehmen wir retronasal wahr, das heißt, die Aromen des Weins strömen vom Mund über den Rachen nach oben in die Nase.
Bei einer Riesling Spätlese zum Beispiel setzt sich die Süße- und Säureempfindung auf der Zunge mit Aromen zusammen, die an gelbe Pfirsiche, Mandarinenschalen und Schießpulver erinnern. Dazu ist die Spätlese auf Grund ihres niedrigen Alkoholgehalts super leicht, was von Vorteil ist wenn es um Trinkfluss geht. Sie lebt fast nur aus der Spannung zwischen Süße und Säure. Das passt. Hat ein Wein eher ein paar Umdrehungen mehr so müssen diese gut integriert sein, damit der Wein nicht plump wirkt. Das geht mit Holzeinsatz, Hefelager, und Co.
5. Reife
Einer der wichtigsten Faktoren des „guten Weins“ ist die Reife. Guter Wein braucht Zeit in der Flasche, um sich optimal zu zeigen. Chemische Prozesse, angetrieben durch Sauerstoffeintritt in den Wein bewirken Veränderungen im Aroma, Geschmack und Farbe.
Es gibt durchaus einen oder mehrere Punkte in der Flaschen-Reife, an denen der Wein sich besser zeigt als an anderen. Um den „guten Wein“ in bestmögliches Licht zu rücken, sollte man ihn möglichst nah am Zenit öffnen. Damit man diesen trifft, braucht man Erfahrung und am besten mehrere Flaschen des Weins, den man dann zum Beispiel alle 6 Monate öffnet und beobachtet. Jeder Wein-Stil und Jahrgangstyp verhält sich unterschiedlich. Das Thema ist zugegeben komplex. Die einfachen Faustregeln sind:
- „Je hochwertiger der Wein, desto länger kann er reifen.“
- „Heiße Jahre sollte man eher jung trinken. Gemäßigte und kühle Jahrgänge reifen besser.“
- „Viel Tannin, Restzucker und Säure konservieren den Wein.“
Wir werden in einem anderen Artikel ganz im Detail auf den Aspekt der Flaschenreife eingehen.
6. Herkunft
Der „gute Wein“ ist ehrlich, wenn man sich ein bisschen auskennt verrät er dir ohne auf das Etikett zu lunzen, wo er herkommt. Er ist geprägt vom Klima der Region, vom Wetter des Jahrgangs, vom Boden, und natürlich von der menschlichen Einwirkung – von der Weinbautradition. All dies umfasst das Wort – Terroir. Das ist beim Wein der wohl faszinierendste Begriff und man könnte ganze Bücher über ihn füllen.
Ein „guter Wein“ erzählt beim Probieren eine Geschichte über seine Herkunft. Das geht natürlich nur, wenn der Winzer naturnah arbeitet und auf harte Eingriffe und stilbildende Manipulationen beim Weinmachen verzichtet. Nur so kann die Originalität eines jeden Jahrgangs erhalten bleiben.
7. Wirkung
Schlussendlich kulminieren alle diese Faktoren zu einem Gesamteindruck. Wie bei einem zeitlos schönen Gebäude sollten die verschiedenen Elemente auch beim „guten Wein“ im Einklang stehen. Die Balance des Gesamtbilds entsteht bei so manchen Weinen auch nur, wenn sich Kontraste gegenüberstehen. Beim Riesling beispielsweise Säure und Süße.
Erst eine gewisse Harmonie macht einen Wein wirklich „gut“. Es ist eine Voraussetzung für Genuss: die nuancierte Abstimmung macht das, was wir mit den Prädikaten fein oder elegant bezeichnen. Das Gute ist nicht laut und schreit nach Aufmerksamkeit oder zeigt Muskeln und prahlt mit Exotik; das Gute entwickelt sich aus dem Einfachen, aus der Natürlichkeit. Das ist für uns die hohe Schule.